BORJANA VENTZISLAVOVA
Silvie Aigner
Charakteristisch für das Œuvre von Borjana Ventzislavova ist das Arbeiten an der Schnittstelle von Realität und Fiktion sowie ein Interesse an sozialgesellschaftlichen Themen. Die Praxis der Migration und ihre strukturellen Bedingungen als Folge von Macht- und Eigentumsverteilung und die damit verbundenen physischen und psychischen Grenzziehungen bilden die Schwerpunkte ihres filmischen und fotografischen Werks. Dabei arbeitet sie mit den Codes eines kollektiven Gedächtnisses, die eine äußere Erscheinung, wie Kleidung oder Kopfbedeckungen, bereits mit einer Zuordnung zu kulturellen und religiösen Gruppen verbinden, wie dies u.a. die Fotoserie „In the Name of“ zeigt, die sie für eine Ausstellung in der Thomas K. Lang Gallery an der Webster University 2010 entwickelte und im Vorjahr erfolgreich auf der Viennafair präsentierte. Fragen der Migration und der damit verbundenen Mobilität auf der Suche nach einem neuen Zuhause stehen im Mittelpunkt von Fotoarbeiten wie „True Vision. False Story. Same Sky“ und „Migration Standards“. Letztere verbindet die Forderungen der MigrantInnen nach einer Veränderung der Migrationspolitik mit der Postkartenidylle Wiens, vor die Borjana Ventzislavova ihre ProtagonistInnen stellt. Der Hintergrund, der die Peripherie der Großstadt zeigt stellt einen bewussten Bruch mit der repräsentativen Fassade Wiens dar und unterstreicht damit den klar formulierten gesellschaftspolitischen Fokus. Die multimediale Arbeit entstand für eine Schwerpunktausgabe der Zeitung Der Standard, der Film lief auf der Diagonale in Graz. Doch ist es der Künstlerin wichtig, ihre Arbeit nicht in der Dokumentation zu verorten. „Street photography bzw. die bloße Dokumentation habe ich stets für mich ausgeschlossen. Mir geht es um die Geschichten, die mit diesen Menschen zusammenhängen, und darüber hinaus um strukturelle Bedingungen und Konventionen unserer Gesellschaft, daher haben meine Arbeiten zwar einen dokumentarischen Ansatz, sind jedoch stets inszeniert und von mir in ein Setting gebracht.“[1] Ein wichtiges Element ist dabei das Ineinanderweben und Überlagern von verschiedenen Personen und Realitäten sowie eine Gegenüberstellung von kontrastreichen Gegensätzen, um Identitäten, Vorstellungen und Ideale in Frage zu stellen. Die Methodik des Rollentauschs verbunden mit der Verschränkung von Realität und fiktiven Lebensvorstellungen findet sich auch in ihrer aktuellen multimedialen Werkserie, die im Vorjahr während ihres Aufenthaltes in Los Angeles im Rahmen des MAK-Schindler-Stipendiums entstand. Das in den Hügeln der Stadt von Pierre Koenig erbaute Case Study House #22, ein bekannter Ort zahlreicher Foto- und Filmshootings, diente als ideale Kulisse für die konzeptuellen Foto- und Videoarbeiten der Künstlerin. Diese thematisieren den Glauben an die Illusion der Verwirklichung des amerikanischen Traums – einer Schauspielkarriere in Los Angeles. Episodenhaft fotografierte und filmte die Künstlerin im Laufe eines Tages Personen, die sie durch ein Casting-Verfahren auswählte. Die Aufforderung, sich in dem Setting wie zu Hause zu fühlen, brachte die Personen dazu, nicht einstudierte Rollen zu spielen, sondern ihre persönlichen Lebensgeschichten zu erzählen. Bei den meisten Personen waren diese mit ihrer eigenen Lebenssituation in Los Angeles verbunden, insbesondere im Hinblick auf Migration, Assimilation und Fremdheit. „American Dream Acting“ zeigt nicht den gelebten Traum, sondern anhand des Casting-Szenarios die Härte eines gesellschaftlichen Auswahlverfahrens sowie das Leben zwischen Imagination und Realität. Denn der Kampf um das verbriefte Aufenthaltsrecht und die daran gekoppelte Arbeitserlaubnis durchbricht früher oder später die Vision von einer Schauspielkarriere in Los Angeles und damit jene von einem besseren Leben. Ebenso beschäftigt sich der Werkkomplex „It shakes everywhere“ mit der Lebenssituation der Menschen in Los Angeles. Die immer wiederkehrenden Erdbeben, als Vorahnung einer zu erwartenden Katastrophe, dienen dabei als Metapher einer prekären Lebenssituation. Durch das Ausloten der Grenzen zwischen Deskription und Abstraktion wird die Illusion von Wirklichkeit in den Arbeiten der Künstlerin destabilisiert. Der Bildausschnitt und das Setting der Motive in der Bildkomposition ermöglichen der Künstlerin eine Verdichtung der Atmosphäre und Intensivierung der Szene. Die Konstruktion der Wirklichkeit in der Fotografie oder im Film, wie sie in den Arbeiten von Borjana Ventzislavova verhandelt wird, ist allemal ein Mittel der sensiblen Annäherung an die kaum fassbaren Zwischenräume des Lebens.
[1] Gespräch mit der Künstlerin, Wien April 2012